§ 242 StGB – Diebstahl

Schema

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Sache
Unter einer Sache versteht man jeden körperlichen Gegenstand. Auf den Aggregatzustand kommt es dabei nicht an. Auch Gase und Flüssigkeiten sind Sachen im Sinne des § 242 StGB oder bspw. des § 303 StGB.

 

P: Sind Tiere Sachen?
Angenommen, der A nimmt die seltene „Lykoi Katze“ des B’s mit nach Hause, in der Absicht sie zu behalten und sein „Eigentum nennen zu können.“ Dann stellt sich natürlich die Frage, ob ein Diebstahl an dieser Katze möglich ist, konkreter, ob die Katze strafrechtlich gesehen eine Sache ist.


Ausgangspunkt dieses Streits ist § 90 BGB, wonach Sachen im Sinne des Gesetzes (BGB) nur körperliche Gegenstände sind. § 90a S. 1 BGB sagt ziemlich deutlich, dass Tiere keine Sachen sind, sie jedoch durch besondere Gesetze geschützt werden (S. 2). Nach S. 3 dieser Norm sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.

 

e.A.: Zivilrechtlicher Sachenbegriff gilt auch im Strafrecht
Einer Ansicht nach zu urteilen, gibt es lediglich einen einheitlichen Sachenbegriff, was sich bereits aus der Einheitlichkeit der Rechtsordnung heraus begründen lässt. Da § 90a S. 3 StGB auf Tiere die für Sachen geltende Vorschriften anwendet, liegt auch kein Analogieverbot zu Lasten des Täters vor.


Folge: Tiere sind keine Sachen, aber für sie gelten die auf Sachen anzuwendenden Vorschriften, weshalb sich A – vorausgesetzt alle weiteren Tatbestandsmerkmale liegen vor – nach § 242 StGB strafbar gemacht hat.

 

a.A.: Das Strafrecht hat einen eigenen Sachenbegriff
Einer anderen Ansicht nach ist der Sachenbegriff des Strafrechts von dem aus dem Zivilrecht zu unterscheiden. Tiere sind Sachen, was mit dem Wortlaut aus § 324a I Nr. 1 StGB und § 325 VI Nr. 1 StGB argumentativ untermauert werden kann. Darin heißt es nämlich „Tiere, Pflanzen oder andere Sachen“.


Folge: Tiere sind Sachen, weshalb sich A – vorausgesetzt alle weiteren Tatbestandsmerkmale liegen vor – nach § 242 StGB strafbar gemacht hat.

 

b. Fremd
Eine Sache ist fremd, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. Dies richtet sich nach zivilrechtlichen Regeln.

 

Herrenlos sind Sachen, die nicht verkehrsfähig sind, an denen nie Eigentum bestanden hat oder an denen Eigentum aufgegeben wurde (BeckOKStGB/Wittig, § 242 Rn. 9).

 

Beispiel: 
A fährt zu schnell auf der Autobahn, kommt von der Straße ab und stirbt sofort. Die heraneilende B möchte die Gunst der Stunde nutzen und nimmt dem A dessen teure Rolex vom Handgelenk und steckt sie ein.


Man könnte meinen, dass diese Sachen herrenlos werden. Dem ist aber nicht so. Vielmehr geht das Eigentum in der juristischen Sekunde des Todes nach § 1922 I BGB auf die Erben über, sind für B also weiterhin fremd.

 

Zu bedenken ist jedoch, dass in diesem Beispiel kein Gewahrsam gebrochen wird, siehe dazu unten! § 242 StGB ist hier also nicht einschlägig, jedoch kommt § 246 StGB in Betracht.

 

In Rahmen der Herrenlosigkeit wird oft § 959 BGB relevant. Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt, vgl. Wortlaut § 959 BGB.

 

Beispiel: A lässt ein paar Bücher am Straßenrand liegen in der Hoffnung jemand anderes hat Interesse daran sie zu lesen.
    
P: Leichen, Leichenteile, Körperteile

P: Herrenlosigkeit wegen Dereliktion?
  
Zu P: Leichen, Leichenteile, Körperteile
Leichen und Leichenteile sind Sachen, die mangels Verkehrsfähigkeit herrenlos und daher nicht gem. § 242 StGB "fremd" sind! Leichen und Leichenteile unterfallen auch nicht gem. § 1922 BGB der Erbmasse, sodass sie im Falle des Todes nicht in das Eigentum des Erben übergehen (Rengier, Strafrecht BT I, S. 11, Rn. 17 ff.).

 

Beachte: 
Dies kann ggf. anders sein für Labor- oder Museumsleichen sowie für Gegenstände, die nach dem Tod wieder zu eigentumsfähigen Sachen werden (z.B. Zahngold, Herzschrittmacher etc.)

 

Zu P: Herrenlosigkeit wegen Dereliktion? (JuS 2012, 809, 812)
Streitig in diesem Zusammenhang ist oft, ob Lebensmittel, die weggeworfen wurden oder Sperrmüll, der auf die Straße gestellt wird, herrenlos sind. 


Die Dereliktion (§ 959 BGB) ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Es bedarf eines Verzichtwillens und einer diesbezüglichen Besitzaufgabe.


Hat ein Supermarkt Lebensmittel bspw. in einen Container geworfen und diesen abgeschlossen oder anders gesichert, ist davon auszugehen, dass ein Interesse daran besteht den Müll nur von der Müllabfuhr abholen zu lassen. Nach hM scheitert eine Dereliktion. Die Sache ist weiterhin fremd, weshalb sogenanntes „Containern“ also strafrechtlich relevant ist.


Stellt man bspw. alte Bücher oder einen Bilderrahmen im Wege des Sperrmülls auf die Straße, kann grds. von einer Dereliktion ausgegangen werden, obwohl es auch hier Besonderheiten geben kann (OLG Hamm, JuS 2011, 755 (766)).

 

c. Beweglich
Eine Sache ist beweglich, wenn man sie von ihrem bisherigen Standort wegschaffen kann (Bosch, § 242 Rn. 11 ff.).

 

d. Wegnahme
Wegnahme ist der Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams, gegen oder ohne den Willen des Berechtigten (Bosch, § 242 Rn. 23 ff.).

 

Beachte, dass juristische Personen und Personengesellschaften (GmbH, GbR, OHG etc.) kein Gewahrsam begründen können, es vielmehr auf die dahinterstehenden handelnden natürlichen Personen (Vertreter, Organe) ankommt.

 

aa. Bruch fremden Gewahrsams und Begründung neuen Gewahrsams
Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache, deren Grenzen nach den Anschauungen des täglichen Lebens zu bestimmen sind (BGHSt 16, 273).

 

Ein Gewahrsamsbruch liegt vor, wenn das Gewahrsam des Berechtigten gegen oder ohne dessen Willen aufgehoben wird.

Beachte, dass Tote kein Gewahrsam haben können, da ihnen der Herrschaftswille fehlt. Nach § 857 BGB geht zwar der Besitz mit dem Tode auf die Erben über. Besitz bedeutet aber nicht gleich Gewahrsam, denn Gewahrsam ist ein rein tatsächliches Verhältnis. Einen “gesetzlichen Gewahrsamserwerb” gibt es nicht.

 

Beispiel: 
A fährt zu schnell auf der Autobahn, kommt von der Straße ab und stirbt sofort. Die heraneilende B möchte die Gunst der Stunde nutzen und nimmt dem A dessen teure Rolex vom Handgelenk und steckt sie ein.
Oben wurde bereits angesprochen, dass das Eigentum in der juristischen Sekunde des Todes auf die Erblasser übergeht (§ 1922 I BGB), die Rolex mithin weiterhin für A fremd ist.


Allerdings müsste B die Sache auch weggenommen, mithin fremdes Gewahrsam gebrochen und neues – nicht notwendigerweise tätereigenen – Gewahrsam, gegen oder ohne den Willen des Berechtigten begründet haben.


Da ein gesetzlicher Gewahrsamserwerb nicht existiert und die Erben auch nichts vom Tod des A wissen, können sie keinen Herrschaftswillen und somit auch kein Gewahrsam bilden. Eine Wegnahme scheidet aus und mithin eine Strafbarkeit aus § 242 I StGB. Beachte aber § 246 I StGB!

 

Bewusstlose und Schlafende haben mithin weiterhin einen zumindest potenziellen/latenten Gewahrsamswillen. Das muss schon aus Gründen der Rechtssicherheit gelten (BGHSt 4, 210 f.).

 

Der Gewahrsamswille erstreckt sich auf alle Sachen in der eigenen Gewahrsamssphäre (sog. genereller Gewahrsam) und somit auf alle Sachen in einem räumlich umgrenzten Bereich (Auto, Zimmer etc.). Die Sachherrschaft wird bejaht, wenn der Gewahrsamsinhaber jederzeit auf diese Sachen zugreifen kann. Der Gewahrsamsinhaber muss sich gerade nicht rund um die Uhr seines Gewahrsams bewusst sein (und somit auch nicht zum Tatzeitpunkt) (vgl. Jura Intensiv, Rn. 36 f.)
    
Beispiel: 
A hat ein altes IPhone in einer ihrer vielen Schubladen verstaut, weiß aber nicht mehr wo genau. Die pfiffige P hingegen kennt die Schubladen der A wie ihre eigene Westentasche und schnappt sich das IPhone, als A im Nebenzimmer ist.

 

P: Trickdiebstahl oder Sachbetrug
P: Gewahrsamslockerung
P: Gewahrsamsenklave 
P: Geldabheben mit gefälschter oder fremder Codekarte
  
Zu P: Trickdiebstahl oder Sachbetrug
Im Rahmen der Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug ist stets zu fragen, ob das Opfer den Gewahrsam täuschungsbedingt übertragen hat (dann Sachbetrug und kein Diebstahl), oder ob das Opfer noch gelockerten Gewahrsam an der Sache hat, welchen der Täter im Anschluss gebrochen hat (dann Trickdiebstahl und kein Betrug).

 

Siehe dazu detaillierter: Schema zu § 263 StGB – Betrug und dort P: Abgrenzung zwischen Trickdiebstahl und Sachbetrug

 

Zu P: Gewahrsamslockerung
Von einer sog. Gewahrsamslockerung spricht man, wenn das Opfer seinen Gewahrsam freiwillig nur gelockert, allerdings nicht gänzlich aufgegeben hat. Dann liegt ein Diebstahl und kein Betrug vor; regelmäßig relevant im Rahmen der Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug. Ein Betrug würde voraussetzen, dass eine Vermögensverfügung unmittelbar zu einer Vermögensminderung führt, was hier nicht der Fall ist, da der Getäuschte immer noch (wenn auch nur gelockerten) Gewahrsam hat (Rengier, Strafrecht BT I, S. 21, Rn. 60 ff.).

 

Beispiel: 
Juwelier J reicht dem Täter T täuschungsbedingt einen teuren Ring, damit dieser ihn näher betrachten kann. J erlaubt T sogar sich den Ring außerhalb des Geschäfts bei Tageslicht anzuschauen. Als T den Laden „kurz verlässt, um sich den Ring anzusehen“, rennt er mit diesem davon. Es liegt ein klassischer Fall des Trickdiebstahls vor, da der Juwelier seinen Gewahrsam hier nur gelockert hat. 
Man muss sich also stehts fragen, ob das Opfer den Gewahrsam komplett übertragen wollte (dann liegt hinsichtlich eines Diebstahls ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor) oder diesen lediglich gelockert hat (dann hat das Opfer noch Gewahrsam, welcher durch den Täter gebrochen werden kann).

 

Zu P: Gewahrsamsenklave
Der Begriff der Gewahrsamsenklave meint, dass ein Gewahrsamsbruch innerhalb von Kaufhäusern oder Selbstbedienungsläden bereits dann vorliegt, wenn der Täter die Sache seiner eigenen Körpersphäre so sehr einverleibt hat, dass er den alleinigen Gewahrsam an der Sache hat (Rengier, Strafrecht BT I, S. 18, Rn. 48).

 

Beispiel: 
Täter steckt ein Handy aus dem Elektronikmarkt in seine Hostentasche

 

bb. Begründung neuen Gewahrsams
Der Täter müsste neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams begründet haben.

 

Der Täter hat neuen Gewahrsam begründet, wenn er oder ein Dritter ungehindert die Herrschaft über die Sache ausüben kann und der ehemalige Gewahrsamsinhaber über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters oder des Dritten zu brechen. 

 

Beachte: Die Anforderungen sind höher, je größer der Gegenstand ist. Bei kleineren Gegenständen wird neuer Gewahrsam eben bereits durch das Verbringen in die Gewahrsamsenklave begründet.

 

Beachte ebenfalls: In einem Gutachten werden die Prüfungspunkte aa., bb., cc. regelmäßig ineinander verschwimmen. Die etwas kleinteiligere Aufteilung des Schemas wird hier aus rein didaktischen Gründen vorgenommen.

 

P: Beobachtung durch Detektiv des Ladens
 

 


Quellen:
Definitionen nachzulesen in: Bosch: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 242 
Rn. 11 ff., 23 ff., 46 ff.
Rengier, Strafrecht BT Teil I (Vermögensdelikte), 24. Aufl. 2022.
BGHSt 38, 120.
BeckOKStGB/Wittig, 55. Edition v. 01.11.2022, § 242 Rn. 9.
BGHSt 4, 210 f.
Schumacher/Schweinberger, Strafrecht BT I, Jura Intensiv, 7. Auflage 2022, S. 15, Rn. 36 f.
BGHSt 16, 273.
Dr. Alexander Baur: Tatbestandstypenlehre und ihre Bedeutung für die Fallbearbeitung – Teil 2, ZJS 6/2017.
OLG Hamm, JuS 2011, 755 (766).
Prof. Dr. Jan Zopfs: Der Tatbestand des Diebstahls – Teil 2, ZJS 6/2009.
JuS 2012, 809, 812.

 


21.07.2023

Das vollständige Schema findest Du auf der heruntergeladenen PDF.
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