Schema
Merke: Dem Verständnis der Willenserklärung – als Einstieg in das Zivilrecht – muss ein grundlegender Punkt omnipräsent sein: Zum einen wird zwischen dem subjektiven und dem objektiven Element bzw. Tatbestand einer Willenserklärung unterschieden (s.u.). Zum anderen ist abzugrenzen zwischen der Privatautonomie des Erklärenden und dem Verkehrsschutz, also dem Schutz derjenigen, die der Erklärung ausgesetzt sind (siehe ebenfalls unten).
Das Grundverständnis des Aufbaus einer Willenserklärung ist dogmatisch wichtig, um Probleme erkennen und einordnen zu können. In fortgeschrittenen Klausuren ist dieser Prüfungsaufbau jedoch nicht herunterzubeten, sondern – je nach Schwerpunkt der Klausur – vor allem auf den Rechtsbindungswillen und den Erklärungsinhalt einzugehen (siehe unser Schema zum Vertragsschluss zur Anschaulichkeit der Einordnung dieses Wissens).
I. Vorliegen einer Willenserklärung
Eine Willenserklärung ist eine Erklärung (!) des Willens (!), welche auf die Herbeiführung einer gewollten Rechtsfolge gerichtet ist.
Man kann eine Willenserklärung in einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand aufteilen.
1. Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand einer Willenserklärung (Erklärungstatbestand) setzt ein äußerlich erkennbares Verhalten voraus, das ausdrücklich oder konkludent auf einen dahinterstehenden konkreten Geschäftswillen (Rechtsbindungswillen) schließen lässt.
Er wird nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt und besteht konkret aus einem Erklärungsverhalten, einem Erklärungsinhalt und dem objektiv zu ermittelnden Rechtsbindungswillen. Um den objektiven Tatbestand der Willenserklärung bejahen zu können, müssen alle genannten Merkmale vorliegen.
a. Erklärungsverhalten
Das Erklärungsverhalten ist eine nach außen erkennbare Willensbetätigung, die auf einen Rechtsbindungswillen schließen lässt. Ein Wille kann ausdrücklich oder konkludent, zB durch Gesten oder Mimik, mitgeteilt und wahrgenommen werden.
Zusatz: Schweigen
Schweigen zählt grundsätzlich nicht als Willenserklärung. Als Grundsatz der Privatautonomie ist grundsätzlich ein zumindest konkludentes Verhalten erforderlich. Die Parteien können davon jedoch vertraglich abweichen. In einem solchen Fall des „beredten Schweigens“ kommt dem Schweigen Willenserklärungscharakter zu.
Auch misst das Gesetz dem Schweigen manchmal einen Erklärungswert zu, so zB in § 108 II 2 BGB. Dort heißt es, dass Schweigen als Willenserklärung „gilt“ (sog. fingierte Willenserklärung). Ein weiteres Beispiel ist § 362 HGB, wonach Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Annahme „gilt“.
b. Erklärungsinhalt
Der Inhalt der Willenserklärung, also die gewollten Rechtsfolgen, müssen hinreichend genau festgelegt bzw. nach §§ 133, 157 BGB ermittelbar sein. Bei Willenserklärungen gerichtet auf einen Vertragsschluss, etwa einem Angebot, sind dies die wesentlichen Vertragsbestandteile (sog. essentialia negotii). Bei einer Kündigung müsste dies je nach Einzelfall das genaue Rechtsverhältnis und den Zeitpunkt, zu welchem gekündigt werden soll, beinhalten.
Beispiel: A hat 2 Wohnungen bei B angemietet. Er erklärt dem B die Kündigung „der“ Wohnung. Es liegt keine hinreichend bestimmbare Willenserklärung vor.
c. Rechtsbindungswille
Der Rechtsbindungswillen ist schließlich das zentrale Element einer Willenserklärung. Nach §§ 133, 157 BGB wird der Rechtsbindungswille ermittelt, indem ausgelegt wird, ob die Erklärung auf eine Rechtsfolge abzielt.
Abzugrenzen davon sind bloße Wissens- und Willensmitteilungen sowie bloße Gefälligkeitshandlungen.
Beispiele:
Mahnungen und Aufforderungen (zB iRd §§ 286 I, 108 II, 177 II BGB), die aber keine Rechtsfolgen auslösen. Sie sind aber als rechtsgeschäftsähnliche Handlung mit mittelbaren Rechtsfolgen verbunden; die Normen über Willenserklärung sind nach herrschender Meinung analog auf sie anzuwenden. Vergleiche hierzu unser Skript zu den Grundbegriffen des BGB.
Klassisches Beispiel zur Abgrenzung bietet eine unentgeltliche Vereinbarung, etwa die Kinder des Nachbarn mit zum Fußballtraining zu fahren. Anhand des Rechtsbindungswillens ist eine reine Gefälligkeitshandlung von einem Auftrag iSd § 662 BGB abzugrenzen.
2. Subjektiver Tatbestand
Auf Seite des subjektiven Tatbestands ist lediglich der Handlungswille konstitutiv/verpflichtend. Das Fehlen des Geschäftswillens führt zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung. Beim Erklärungsbewusstsein ist strittig, ob es konstitutiv ist, nach hM ist ein potentielles Erklärungsbewusstsein erforderlich.
a. Handlungswille
Der Handlungswille als Teil des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung, ist der Wille eine Handlung auch tatsächlich vornehmen zu wollen.
Er fehlt bei Reflexen und Handlungen in einem nicht bewussten Zustand, wie zB beim Schlafwandeln und wenn zwingende Gewalt ausgeübt wird (sog. vis absoluta). Es ist mit der Privatautonomie nicht vereinbar, eine überhaupt nicht gewollte Handlung als Willenserklärung aufzufassen.
b. Erklärungsbewusstsein
Das Erklärungsbewusstsein als Teil des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung, ist der Wille irgendeine rechtsverbindliche (!) Handlung vorzunehmen. Sie ist das Pendant zum Rechtsbindungswillen.
P: Fehlendes Erklärungsbewusstsein
Umstritten ist, ob das Erklärungsbewusstsein konstitutiver Bestandteil der Willenserklärung ist.
Beispiel:
A und B unterhalten sich, B schweift gedanklich ab, während A ihm das Angebot unterbreitet, sein altes Auto zu kaufen. B antwortet einfach nur „Haha klingt gut“, da er dachte, A redet lediglich noch über die Restaurierung seines alten Wagens.
Einer Ansicht nach liegt ohne das Erklärungsbewusstsein keine Willenserklärung vor (sog. Willenstheorie). Diese Ansicht argumentiert mit der Privatautonomie des B, der nicht willentlich über seine Rechtsgeschäfte disponierte.
Einer anderen Ansicht nach ist das Erklärungsbewusstsein nicht konstitutiv für das Vorliegen einer Willenserklärung (sog. Erklärungstheorie). Sie sieht den Verkehrsschutz als wichtiger an, also in unserem Beispiel das Vertrauen des A in die rechtsgeschäftlich erhebliche Aussage des B.
Die herrschende Meinung vertritt eine vermittelnde Ansicht: Für eine Willenserklärung bedarf es eines potentiellen Erklärungsbewusstseins. Dh, hätte der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 I BGB) erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte (BGH NJW 1984, 2279, 2280), wird eine Willenserklärung bejaht.
Zum Beispiel:
Im obigen Fall könne man als Sorgfaltsmaßstab des B das aufmerksame Verfolgen seines Vertragspartners auslegen. Bei ordnungsgemäßer Sorgfalt, dh hätte B dem A aufmerksam zugehört, hätte er erkennen können, dass ihm ein Angebot unterbreitet und seine Antwort eine rechtserhebliche Äußerung darstellt und somit vermeiden können, dass A seine Auffassung als Annahme auffasst. Somit liegt eine Willenserklärung vor.
c. Geschäftswille (nicht konstitutiv)
Der Geschäftswille als Teil des subjektiven Tatbestandes einer Willenserklärung, ist der Wille mit der konkreten rechtsverbindlichen Handlung eine konkrete rechtsverbindliche Rechtsfolge herbeizuführen.
Anders ausgedrückt: Der Geschäftswille ist das Kennen und Wollen der konkreten Rechtsfolgen.
Unterliegt man zB einem Irrtum, so ging man subjektiv von anderen Rechtsfolgen aus, als diese objektiv aus dem Erklärungsinhalt ausgelegt werden können (§§ 133, 157 BGB). Dies hindert allerdings nicht das Vorliegen einer Willenserklärung, da der Geschäftswille kein konstitutives Merkmal ist. Die Willenserklärung kann aber ggf. angefochten werden.
Beispiel:
A möchte auf dem Flohmarkt den aushängenden Mantel der B kaufen, welcher mit einem Preisschild zu 500 EUR ausgeschildert ist. A verliest sich und erkennt lediglich 50 EUR. Sodann sagt sie zu B, sie möchte den Mantel zum angegebenen Preis erwerben. Objektiv wird der Erklärungsinhalt nach dem Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Dritten an der Stelle der B nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt. An B‘s Stelle ist davon auszugehen, dass der angegebene Preis von A gesehen und zum Inhalt ihres Angebots zum Abschluss eines Kaufvertrags gemacht wurde, mithin wird ein Rechtsbindungswille zu entnehmen sein. Subjektiv wollte die A sich auch jedenfalls rechtlich erheblich äußern, sodass das Erklärungsbewusstsein vorliegt. Lediglich die konkreten Rechtsfolgen ihrer Erklärung waren ihr nicht bewusst. Der Geschäftswille fehlt, trotzdem liegt eine Willenserklärung in Form eines Angebots vor. A wird sich durch eine Anfechtung (Inhaltsirrtums gem. §§ 142 I, 119 I Alt. 1 BGB) von dem Angebot lösen können, ist dann aber gegebenenfalls der B zum Schadensersatz gem. § 122 I BGB verpflichtet. Dies bringt den Verkehrsschutz der B und die Privatautonomie der A in ein angemessenes Gleichgewicht.
II. Wirksamwerden
Beim Wirksamwerden von Willenserklärungen ist zunächst zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu unterscheiden.
Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen werden schon mit der Abgabe wirksam, das sind beispielsweise das Testament oder die Auslobung.
Empfangsbedürftige Willenserklärungen, also solche Erklärungen, „die einem anderen gegenüber abzugeben sind“ (vgl. § 130 I 1 BGB), mithin etwa Angebot, Annahme sowie Gestaltungsrechte (Kündigung, Widerruf, Anfechtungserklärung etc.), stellen regelmäßig den prüfungsrelevantesten Anteil dar.
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Quellen:
BGH NJW 1984, 2279, 2280.
MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 147 Rn. 34.
MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 130 Rn. 13.
Bitter/Röder BGB AT, 5. Auflage, 2020, Rn. 55.
29.05.2023