Schema
I. Vertragsschluss
Ein Vertrag kommt durch zwei aufeinander gerichtete, dh korrespondierende, Willenserklärungen, namentlich Angebot, vgl. § 145 BGB, und Annahme, vgl. § 147 BGB, zustande.
1. Angebot
Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die alle wesentlichen Vertragsbestandteile enthält und durch die eine Person der anderen den Vertragsschluss in der Weise anträgt, dass das Zustandekommen des Vertrages nur noch von deren Einverständnis abhängt.
Ein Angebot muss als Willenserklärung alle Elemente beinhalten, um wirksam zu sein; siehe hierzu unsere Übersicht zu den Grundbegriffen des BGB sowie das Schema zur Willenserklärung). Diese sind aber nicht alle bei der Prüfung eines Vertragsschlusses anzusprechen, da sie je nach Klausurschwerpunkt unproblematisch bejaht werden können.
Allerdings ist regelmäßig der Erklärungsinhalt auszulegen, d.h. die essentialia negotii zu bestimmen, damit auch der Vertragsinhalt bestimmt werden kann und gegebenenfalls der Inhalt eines Anspruchs. Sodann ist ein Rechtsbindungswille zu ermitteln.
a. Essentialia negotii
Die wesentlichen Vertragsbestandteile (sog. essentialia negotii) sind je nach Art des Vertrages zu bestimmen. Beispielsweise sind diese beim Kaufvertrag der Kaufpreis, die Kaufsache und die Parteien (Käufer, Verkäufer).
Der Erklärungsinhalt wird als Teil des objektiven Tatbestandes der Willenserklärung aus der Sicht eines objektiven Dritten an der Stelle des Erklärungsempfängers ausgelegt, dh anhand des objektiven Empfängerhorizontes, §§ 133 157 BGB.
Ausnahme: falsa demonstratia non nocet-Grundsatz
Eine Ausnahme von der Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizontes ist anzuwenden, wenn beide Parteien subjektiv von demselben Erklärungsinhalt ausgehen. Dann gilt das tatsächlich beiderseitig Verstandene, selbst wenn es fehlerhaft bezeichnet wird. Grundsätzlich wird nach dem objektiven Empfängerhorizont danach ausgelegt, wie Außenstehende die Erklärung erfasst hätten. Dies dient eigentlich dem Verkehrsschutz des Erklärungsempfängers. Ein solcher ist aber nicht mehr schützenswert. Im Sinne der Privatautonomie ist daher in diesen Fällen des beiderseitigen subjektiven Übereinstimmens nicht fest an der allgemeinen Bedeutung der Erklärung festzuhalten oder in anderen Worten – die Parteien sind nicht daran zu halten.
Beispiel:
Wenn aus politischer Korrektheit zwischen zwei Kommilitonen ein Kaufvertrag über den „alten Habersack“ geschlossen wird und beide wissen, dass das Exemplar von 2020 zwar korrekterweise Schönfelder heißt, sie aber genau diesen mit der Bezeichnung „alter Habersack“ meinten, dann wird der Kaufvertrag über eben den alten Schönfelder geschlossen und nicht über einen (viel teureren) neuen Habersack.
Sonderfall: offerta ad incertas personas (die Realofferte)
Grundsätzlich müssen für die hinreichende Bestimmtheit einer Willenserklärung gerichtet auf einen Vertragsschluss alle wesentlichen Vertragsbestandteile vorliegen. Allerdings kann auf die Kenntnis der Person des Vertragspartners verzichtet werden. Zwar lehnt der Wortlaut des § 145 BGB nahe, dass der Vertragsantrag die Person des Vertragspartners festlegen müsse, jedoch besteht Einigkeit darüber, dass man einen Vertragsantrag auch an einen unbestimmten Personenkreis (sog. offerta ad incertas personas) richten kann. Um diesen Antrag anzunehmen, ist erforderlich, dass der Erklärende nach der objektiven Auslegung tatsächlich auf die Kenntnis der Person des Vertragspartners verzichten will. Dies ist im Einzelfall zu bestimmen; der klassische Fall der offerta ad incertas personas ist jedoch die Realofferte, bei der die Leistung tatsächlich bereitgestellt wird.
Ein klassisches Beispiel der Realofferte sind zB Automaten und Selbstbedienungstankstellen. Voraussetzung bei diesen Realofferten ist weiterhin, dass sie auf den Vorrat beschränkt und durch das Funktionieren sowie eine ordnungsgemäße Bedienung bedingt sind.
b. Rechtsbindungswille
Schließlich muss ein Rechtsbindungswille anhand des objektiven Empfängerhorizontes ermittelt werden.
P: Abgrenzung zur invitatio ad offerendum
Anhand des Rechtsbindungswillens ist davon abzugrenzen, dass lediglich eine Aufforderung zur Abgabe eines Antrags (sog. invitatio ad offerendum) vorliegt. Eine solche stellt keinen Antrag dar.
Die Abgrenzung von der offerta ad incertas personas, die im Gegensatz zur invitatio ad offerendum ein Angebot darstellt, kann besonders anhand dieser Merkmale stattfinden:
- Ist der Erklärende in Gefahr, im Falle einer offerta ad incertas personas, sich mehrfach zu verpflichten bzw. schadensersatzpflichtig zu machen? Diese Frage kann beim Vorliegen einer Realofferte verneint werden, denn Annahmen kann es in diesem Fall nur so viele geben, wie es Exemplare der Verkaufssache (z.B. Snickers im Warenautomaten) gibt. Voraussetzung bei diesen Realofferten ist weiterhin, dass sie auf den Vorrat beschränkt und durch das Funktionieren sowie eine ordnungsgemäße Bedienung bedingt sind, s.o.
- Möchte der Erklärende nach objektiver Auslegung auf die Kenntnis der Person des Vertragspartners verzichten? Dabei ist bei entgeltlichen Verträgen das Hauptmerkmal die Solvenz des Vertragspartners. Somit ist wiederum beim Automaten etwa die Annahme nur durch das tatsächliche Einwerfen des Geldes möglich und die Solvenz kein Kriterium mehr, das den Automatenaufsteller interessiert.
Beispiele für eine invitatio ad offerendum:
- Versandkataloge und Zeitungsannoncen, insbesondere wegen der Gefahr der Mehrfachverpflichtung: Der Versandkatalog wird beispielsweise an 3000 Leute geschickt, um den Kreis der potentiellen Käufer zu erweitern, nach der objektiven Auslegung wird allerdings nicht davon auszugehen sein, dass ein verbindliches Angebot an all diese 3000 Leute vorliegt.
- Schaufensterauslagen; siehe folgender Formulierungsvorschlag
Formulierungsvorschlag:
Zunächst könnte das Auslegen der Waren im Laden der E ein Angebot dargestellt haben. Im vorliegenden Fall ist nach lebensnaher Auslegung der Preis durch ein Preisschild am Produkt sowie das Produkt als Ware bestimmbar. Allerdings ist zum Zeitpunkt der Auslegung der Ware kein anderer Vertragspartner als die E erkennbar. Auf die Kenntnis des Vertragspartners könnte E bewusst verzichtet haben und mit einem Angebot an einen unbestimmten Personenkreis (sog. offerta ad incertas personas) ein verbindliches Angebot abgegeben haben. Dieses ist allerdings von einer unverbindlichen Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (sog. invitatio ad offerendum) abzugrenzen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Selbstbedienungsladen, in dem die Ware durch die Kunden im letzten Schritt vor den Kassierern bezahlt werden. Einerseits besteht durch die tatsächliche Bereitstellung der Ware keine Gefahr der Mehrfachverpflichtung. Andererseits ist die Rolle der Kassierer unter anderem, eine Kontrollfunktion bezüglich der Umsetzung der internen Vorhaben der Geschäftsinhaber zu haben. Anders läge es bei automatisierten Kassen. Somit soll nach gem.
§§ 133, 157 BGB erkennbarer Auswahl des Bezahlungsvorgangs durch die E in der Auslage kein verbindliches Angebot liegen.
c. Wirksamwerden
Das Angebot wird, wie jede empfangsbedürftige Willenserklärung gem. § 130 I BGB mit Abgabe und Zugang wirksam (siehe hierzu unser Schema zur Willenserklärung).
d. Bindungswirkung: Erlöschen
Grundsätzlich ist man bis zum Erlöschen des Angebots an dieses gebunden, § 145 BGB. Gem. § 146 BGB erlischt das Angebot durch dessen Ablehnung oder durch die rechtzeitige Annahme.
Eine Ablehnung ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln, auf die Rechtzeitigkeit der Annahmeerklärung wird im nächsten Punkt eingegangen.
2. Annahme
Eine Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die das vorbehaltslose Einverständnis mit dem Angebot erklärt wird.
a. Erforderlichkeit der Annahme
In § 151 S. 1 BGB heißt es:
„Der Vertrag kommt durch die Annahme des Antrags zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat.“
Die Norm muss sehr aufmerksam gelesen werden. Der erste Teil sagt ganz klar: „Der Vertrag kommt durch Annahme des Antrages zustande!“
...
Quellen:
MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 151 Rn. 5, 9
MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 147 Rn. 35.
LG Rottweil, Urt. v. 20.2.2017 – 1 O 104/16.
29.05.2023