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§§ 164 BGB – Stellvertretung

Schema

Merke: Der Prüfungsaufbau ist im Grunde einfach aus dem Gesetz zu entnehmen. Dort heißt es in § 164 I S. 1 BGB: „Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt für und gegen den Vertretenen.“ Beachte auch, dass es eine aktive Stellvertretung, § 164 I BGB und eine passive Stellvertretung gibt, § 164 III BGB.


I. Anspruch entstanden
1. Vertragsschluss
Formulierungsvorschlag: Zwischen A (der möglicherweise Vertretenen) und B (dem Dritten) könnte ein wirksamer Vertrag zustande gekommen sein. Dafür bedarf es zwei korrespondierende Willenserklärungen, namentlich Antrag und Annahme, Vgl. §§ 145, 147 BGB. Die A hat sich hier nicht dahingehend gegenüber B geäußert. Allerdings könnte die Willenserklärung des C (Stellvertreter) gem. § 164 I BGB für und gegen A wirken.

 

a. Willenserklärung des Stellvertreters
Relevant bei der Auslegung der Willenserklärung des Stellvertreters ist die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhalts nach §§ 133, 157 BGB, d.h. der essentialia negtotii, von der die Vertragspartei umfasst ist. Dabei kann schon aufgezeigt werden, dass Vertragspartei der Geschäftsherr werden soll.

 

b. Wirkung für und gegen den Vertretenen
Im Rahmen der Entstehung eines Schuldverhältnisses ist die Rechtsfolge des § 164 I BGB bei der Willenserklärung des Stellvertreters zu prüfen: Diese wirkt bei Vorliegen der Voraussetzungen für und gegen den Vertretenen. Dafür muss der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung in fremdem Namen im Rahmen seiner Vertretungsmacht abgegeben haben.

 

aa. Anwendbarkeit der Regeln zur Stellvertretung
Die Regeln der Stellvertretung sind analog anwendbar auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (z.B. Mahnungen).

 

bb. Zulässigkeit der Stellvertretung
Die Stellvertretung ist nicht zulässig bei:
- Realakten (zB die Übergabe im Zuge der Übereignung) und
- Höchstpersönlichen Geschäften (z.B. Eheschließung nach § 1311 BGB).


Hinweis: Dieser Prüfungspunkt ist in unproblematischen Fällen regelmäßig nicht zwingend anzusprechen.

 

cc. Eigene Willenserklärung des Vertreters
Der Vertreter muss eine eigene Willenserklärung abgeben haben.
Ein Stellvertreter fasst einen eigenen Willen und gibt entsprechend auch eine eigene Willenserklärung ab. 


Der Bote hingegen ist lediglich Übermittler einer von einem anderen gefassten Willenserklärung, weshalb die §§ 164 ff. BGB auf den Boten keine Anwendung finden. 


Die Abgrenzung ist eine Einzelfallentscheidung. Zu fragen ist, wie der vermeintliche Stellvertreter aus Sicht eines verständigen objektiven Empfängers auftritt und ob ihm ein gewisses Maß an Entscheidungsspielraum bezogen auf die Abgabe und den Inhalt der Willenserklärung bleibt (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 80, 81).

 

Beispiele: 
A wird aufgetragen, eine Packung Haribo Gummibärchen im Supermarkt zu kaufen (Bote).


A wird aufgetragen „etwas Süßes“ im Supermarkt zu kaufen (Stellvertreter).

 

Dabei ist das Maß an Entscheidungsspielraum nicht zwingend. Auch ein Stellvertreter kann sehr engen Vorgaben unterliegen (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 81). Dies verdeutlicht der Umstand, dass auch Kassierer trotz ihres eingeschränkten Handlungsspielraumes als Stellvertreter anzusehen sind.


Darüber hinaus kann das Alter des Handelnden Anhaltspunkte geben. Geschäftsunfähige (= unter 7 Jahre) können nämlich lediglich Boten sein, da ihnen die Geschäftsfähigkeit zur Abgabe einer eigenen wirksamen Willenserklärungen fehlt, §§ 104, 105 BGB. 
(MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 81).

 

Merksatz: „Ist das Kindlein noch so klein, kann es auch schon Bote sein“.

 

Ein beschränkt Geschäftsfähiger kann gem. § 165 BGB Stellvertreter sein. Das Geschäft wirkt nämlich für und gegen den Vertretenen, weshalb es für den Vertreter neutral ist und er gerade keinen rechtlichen Nachteil erleidet.

 

dd. Im fremden Namen (Offenkundigkeitsprinzip)
Das Gesetz ist an dieser Stelle sehr deutlich. Der Vertreter muss offenkundig im Namen des Vertretenen handeln, damit der Vertragspartner weiß, mit wem er schlussendlich kontrahiert (Offenkundigkeitsprinzip) (Jauernig/Mansel BGB § 164 Rn. 3). Dies kann aus den Umständen ersichtlich sein oder ausdrücklich erfolgen, vgl. § 164 I S. 2 BGB. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so liegt ein sogenanntes Eigengeschäft vor, d.h. der Stellvertreter bindet sich im Zweifel selbst.

 

Merke: Dies müsste dann aber schon bei der Bestimmung der Vertragsparteien ausgelegt worden sein, wenn man es ganz genau und kohärent darstellen will (s.o. unter I.1.a.).

 

Eine Auslegungsregel gibt § 164 I S. 2 BGB vor: 
Insbesondere die Umstände können ergeben, dass die Willenserklärung in fremdem Namen abgegeben wird. Eine relevante Fallgruppe sind die unternehmensbezogenen Geschäfte. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der Vertreter eben nicht ausdrücklich im Namen des Vertretenen handelt, es aber aus dem Sachzusammenhang für den Vertragspartner klar ist, dass sich lediglich der Vertretene rechtlich binden möchte (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 130 ff.).

 

Beispiel: 
Der O möchte über die Hotline eines Vergleichsportals einen Strom- und Gasvertrag abschließen. Ihm ist klar, dass nicht die Person am anderen Ende des Hörers, sondern der Inhaber des Geschäftes berechtigt und verpflichtet werden soll.

 

P: Ausnahmen vom Offenkundigkeitsprinzip
Das Offenkundigkeitsprinzip ist zum Schutz des Vertragspartners zu wahren. 
Selbst, wenn eine Willenserklärung nicht in fremdem Namen abgegeben wird, wirkt diese für und gegen den Vertretenen, wenn der Vertragspartner ausnahmsweise kein Interesse an der Identität des Vertragspartners hat. 


Diese Ausnahme ist in zwei Fallgruppen zu unterteilen: Das Geschäft für den, den es angeht und das Handeln unter fremdem Namen.

 

- Geschäft für den, den es angeht
Bei einem Geschäft für den, den es angeht, erkennt der Vertragspartner nicht, dass ihm gegenüber ein Vertreter auftritt, er hat allerdings auch keinerlei Interesse an der Identität seines Gegenübers. Verpflichtet wird trotzdem der Vertretene. Die ist insbesondere im Rahmen von Bargeschäften des täglichen Lebens relevant (Jauernig/Mansel BGB § 164 Rn. 4 f.).

 

In diesen Fällen ist lediglich zu prüfen, ob
o dem Dritten die Kenntnis des Vertragspartners gleichgültig ist und
o ob Vertreterwille seitens des Stellvertreters vorliegt

 

Beispiel: 
V, der Vertreter des C, kauft für diesen im Supermarkt Nudeln, Parmesan, Basilikum und Pinienkerne.

- Handeln unter falschem oder fremdem Namen (Namenstäuschung oder Identitätstäuschung)

 

o Namenstäuschung: Handeln unter falschem Namen
In Fällen, in denen bewusst unter falschem Namen aufgetreten wird, die Benutzung des fremden Namens beim Gegenüber aber keinerlei Fehlvorstellungen über die Identität des Handelnden hervorruft, da sie ihm gleichgültig ist und so oder so der Vertrag nur mit dem Handelnden abgeschlossen werden soll, wird auch nur dieser berechtigt und verpflichtet (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 151). Es liegt kein Fall des § 164 I BGB, sondern ein Eigengeschäft vor.

 

Beispiel: 
Der W möchte mal wieder mit seiner Geliebten im Hotel einchecken und gibt absichtlich den Namen des nicht existenten Marno Weber an, um seinen Hotelbesuch zu verschleiern. Ist es dem Hotelinhaber egal, ob mit W oder Marno Weber das Geschäft abgeschlossen wird, so wird ein Vertrag mit W geschlossen.

 

o Identitätstäuschung: Handeln unter fremdem Namen
In Fällen, in denen ein Handelnder unter fremdem Namen handelt, also einen anderen Namen deshalb benutzt, um den Anschein zu erwecken eben diese Person zu sein, so finden die Regelungen der Stellvertretung analog (!) Anwendung, da es dem Gegenüber darauf ankam, mit der genannten Person den Vertrag einzugehen (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 155 f.). Es handelt sich um einen Fall der Vertretung ohne Vertretungsmacht (Siehe dazu das Schema zum falsus procurator).

 

Beispiel: 
Der R, welcher dem Fußballspieler Christiano Ronaldo zum Verwechseln ähnlichsieht, gibt an, eben dieser zu sein, um einen der letzten begehrten Sitzplätze in der Staatsoper zu ergattern. Der Theaterverkäufer hat wohl ein Interesse an der Identität des Vertragspartners, namentlich Ronaldo. An einem Vertragsschluss mit R hatte er nie ein Interesse. Somit scheidet ein Eigengeschäft aus. Unter Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip entsteht somit die absurde Situation, dass theoretisch ein schwebend unwirksamer Vertrag, vgl. § 177 I BGB, mit Christiano Ronaldo zustande kommt. Der R haftet gegebenenfalls aus § 179 I BGB analog (MüKoBGB/Schubert BGB § 179 Rn. 18), kann aber keine Ansprüche aus diesem Vertrag geltend machen.

 

ee. Im Rahmen der Vertretungsmacht
Vertretungsmacht ist die Rechtsmacht, für einen anderen verbindlich Willenserklärungen abzugeben bzw. entgegenzunehmen, den anderen also rechtsgeschäftlich zu binden (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 193).

 

Eine solche Rechtsmacht kann entstehen 
(1) Kraft Gesetz,
(2) Kraft Rechtsgeschäft (Vollmacht),
(3) Kraft Rechtsschein.

 

Im Folgenden nun detaillierter:

(1) Kraft Gesetz
Eltern vertreten ihre Kinder gem. §§ 1626, 1629 BGB. Ebenso Vormunde, Betreuer und Pfleger ihre Mündel. Dies stellt eine Gesamtvertretung dar (MüKoBGB/Schubert BGB § 164 Rn. 208).

 

(2) Kraft Rechtsgeschäft: Die Vollmacht
Der wichtigste Klausuranwendungsfall der Vertretungsmacht ist die kraft Rechtsschein Verliehene: Die Vollmacht (Legaldefinition in § 166 II BGB). Gem. § 167 I BGB kann sie gegenüber dem Vertreter (Innenvollmacht) oder gegenüber dem Vertragspartner (Außenvollmacht) erklärt werden und bedarf keiner besonderen Form, § 167 II BGB.

 

Sie legt das rechtliche Können des Vertreters im Außenverhältnis fest. Von ihr ist strikt das Innenverhältnis zwischen Stellvertreter und Vertretenem zu unterscheiden (z.B. Auftrag oder Arbeitsvertrag) – insbesondere ihre Wirksamkeit muss abstrahiert voneinander betrachtet werden (MüKoBGB/Schubert BGB § 167 Rn. 2).

 

Beispiel: 
A beauftragt seinen 15-jährigen Bruder, ihm eine Zeitung zu kaufen. Das Auftragsverhältnis (Innenverhältnis) ist gem. 
§ 108 I BGB schwebend unwirksam, da es den Minderjährigen zu der Erfüllung des Auftrags verpflichtet und keine Einwilligung ersichtlich ist. Davon ist die konkludent erteilte Vollmacht zu unterscheiden: Ihre Wirksamkeit hängt nicht von der Einwilligung oder vom Zugang bei seinen gesetzlichen Vertretern ab, vgl. § 131 II BGB, da sie dem Minderjährigen lediglich den Vorteil erbringt, für und gegen die A ein Rechtsgeschäft abschließen zu können. Das rechtliche Können des Minderjährigen im Außenverhältnis, beispielsweise gegenüber einem Zeitungsverkäufer ist damit durch die wirksame Vollmacht festgelegt.

 

Das Erlöschen der Vollmacht richtet sich nach § 168 I BGB.


o Bei Erlöschen des zugrundeliegenden Grundverhältnisses
Erlischt das Innenverhältnis, z.B. der Arbeitsvertrag durch Kündigung, so erlischt auch die damit einhergehende Vollmacht. Dies durchbricht gewissermaßen den Grundsatz von der Abstraktion, der eben dargestellt wurde.

 

o Durch Widerruf
Die Vollmacht ist frei widerruflich. Der Widerruf kann, so zeigt der Verweis von § 168 S. 2 BGB aus § 167 I BGB gegenüber dem Stellvertreter (Innenwiderruf) und gegenüber dem Vertragspartner (Außenwiderruf) ergehen.

 

Sonderproblem: Anfechtung der ausgeübten Innenvollmacht
 

...

 


Quellen:
Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 164.
MüKoBGB/Spellenberg, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 8.
MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 164.
MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 181.
MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 179.
MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 167.
Brox, Hans; Walker, Hans-Dietrich: Allgemeiner Teil des BGB, 44. Auflage 2020.
Medicus, Dieter; Petersen, Jens: Allgemeiner Teil des BGB, 11. Auflage, 2016.

 


12.07.2023
 

Das vollständige Schema findest Du auf der heruntergeladenen PDF.
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