Schema
Merke: Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht, muss also erklärt werden, vgl. § 143 BGB. Nach wirksamer Anfechtung ist das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an (ex tunc = rückwirkend) als nichtig anzusehen, vgl. § 142 BGB. Somit wird die Anfechtung als rechtsvernichtende Einwendung im Rahmen des Punktes „Anspruch nicht erloschen“ geprüft. Ganz wichtig ist es, das Trennungs- und Abstraktionsprinzip zu beachten.
I. Anspruch entstanden
II. Anspruch nicht erloschen
Die Anfechtung wird als rechtsvernichtende Einwendung im Rahmen „Anspruch nicht erloschen“ geprüft.
1. Anwendbarkeit
Eine Anfechtung wegen einem Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB wird im Kaufrecht von den spezielleren Normen §§ 434 ff. BGB verdrängt.
2. Zulässigkeit
Anfechtbar sind Willenserklärungen. Für geschäftsähnliche Handlungen sind die Regelungen analog anzuwenden. Ein Realakt ist nicht anfechtbar.
3. Anfechtungsgrund
Ein Irrtum ist jedes unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung.
a. Erklärungsirrtum, § 119 I BGB
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende sich zwar sicher ist, was er erklären möchte, allerdings bei Abgabe der Erklärung irrt, indem er sich verschreibt, vertippt, verspricht. „Er weiß nicht, was er sagt“ (JuS 2014, 491 (493)).
Weiter ist eine Kausalität zwischen dem Irrtum und dem Inhalt der Erklärung zu prüfen.
P: Kalkulationsirrtum (Berechnungsirrtum; vgl. NJW 1998, 3192)
Der Kalkulationsirrtum kann als offener und verdeckter Kalkulationsirrtum auftauchen.
Beim offenen Kalkulationsirrtum wird aus der Willenserklärung oder aus den Begleitumständen deutlich, dass ein Fehler in der Berechnung vorliegt. Hier kommt oft die Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Irrtum unbeachtlich ist („falsa demonstratio non nocet“), also das wirklich Gemeinte gilt.
Ist dies nicht der Fall, so ist str., ob der Erklärende anfechten kann.
Herrschende Meinung:
Nach der herrschenden Meinung kommt eine Anfechtung nicht in Betracht, da es sich um einen Fehler in der Willensbildung, nicht in der Willensäußerung handelt. Somit handelt es sich um einen bloßen Motivirrtum, das Risiko trägt der Erklärende (Jauernig/Mansel, § 119 Rn. 10).
Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn durch die falsche Berechnung die Geschäftsgrundlage für die Parteien wegfällt (§ 313 BGB) oder die fehlende Anfechtung für den Erklärenden ruinöse Folgen hätte (§ 242 BGB).
Andere Ansicht:
Nach einer anderen Ansicht erfolgt die Anfechtung nach
§ 119 I BGB (Inhaltsirrtum), da es keinen Unterschied mache, ob sich derjenige verspricht oder verrechnet (RGZ 105, 406 ff).
Auch der verdeckte Kalkulationsirrtum ist in seiner Behandlung umstritten. Er liegt vor, wenn dem anderen Teil gerade nicht bewusst ist, dass sich der andere irrt, z.B. wenn sich der Erklärende verrechnet, aber seine Berechnungsgrundlage nicht offenlegt.
Herrschende Meinung:
Hier geht die ganz herrschende Meinung davon aus, dass es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Eine Ausnahme wird zumeist nur dann gemacht, wenn ansonsten ruinöse Folgen für den Erklärenden drohen, § 242 BGB (BGH NJW 1998, 3192).
Mindermeinung:
Eine Mindermeinung diskutiert, ob man nicht auch dann eine Ausnahme machen kann, wenn der andere Teil hätte erkennen müssen, dass sich der Erklärende verrechnet hat. Dies wird jedoch abgelehnt, da dies dem Risikobereich des Erklärenden zuzuordnen ist (BGH NJW 1998, 3192).
b. Inhaltsirrtum, 119 I BGB
Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende weiß, was er ausdrücken möchte, aber über den Bedeutungsgehalt seiner Aussage irrt. „Er weiß nicht, was er damit sagt“ (JuS 2014, 491 (493)).
Beispiel:
C bestellt an der Fleischtheke 500g Hackepeter und bekommt anstatt ganz normalen Hackfleischs, mit dem er Bolognese kochen wollte, gewürztes Hackfleisch, welches roh auf Brot gegessen wird.
Weiter ist eine Kausalität zwischen dem Irrtum und dem Inhalt der Erklärung zu prüfen.
c. Eigenschaftsirrtum, § 119 II BGB
Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende über eine Eigenschaft einer Sache oder einer Person irrt, welche verkehrswesentlich sind (JuS 2014, 491 (493)).
Eigenschaften einer Sache oder einer Person sind alle wertbildenden Faktoren, die dem Gegenstand unmittelbar anhaften, nicht jedoch der Wert der Sache selbst.
Eigenschaften sind dann verkehrswesentlich, wenn sie nach allgemeiner Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft von wesentlicher Bedeutung sind.
Beispiel:
A kauft von C auf dem Flohmarkt eine Tasche, in dem Glauben, dass sie eine echtes Designerobjekt zum Spottpreis ergattert. Tatsächlich ist sie Teil der Marke LariVittein.
Weiter ist eine Kausalität zwischen dem Irrtum und dem Inhalt der Erklärung zu prüfen.
P: Doppelirrtum
P: Motivirrtum (BGH NJW 2008, 2442 Rn. 15; MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 108)
Zu P: Doppelirrtum
Streitig ist, wie mit dem Fall umgegangen wird, dass sich beide Parteien über eine verkehrswesentliche Eigenschaft irren. (Bitter/Röder, BGB Allgemeiner Teil, 5. Auflage 2020, S. 105, Rn. 118 ff.)
Nach der herrschenden Meinung sollen die Regeln über die Änderung der Geschäftsgrundlage angewendet werden (BGH NJW 1958, 297 (298)). Denn wenn beide Parteien demselben Eigenschaftsirrtum unterliegen, ist es nur eine Frage der Zeit, vgl. § 121 I 1 BGB, welche Partei zuerst Kenntnis von dem Irrtum erlangt und anficht. Dieser Zufälligkeit und einem Schadensersatzanspruch gem. § 122 BGB unterliegt dann die andere Partei (Stadler, Astrid: Allgemeiner Teil des BGB, 20. Auflage, § 25, Rn. 95 ff.).
Nach einer anderen Ansicht soll ganz normal angefochten werden können, dh auf den beiderseitigen Doppelirrtum die §§ 119, 142 BGB angewandt werden. Dieser Ansicht nach profitiert eine Partei von dem Irrtum, während die andere einen Schaden trägt. Daher ist es nicht zufällig, wer anficht und gerecht, dass die profitierende Partei zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet ist (Medicus/Petersen: Allgemeiner Teil des BGB, 11. Auflage, 2016, Rn. 778).
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Quellen:
NJW 1998, 3192 – Zum Problem des Kalkulationsirrtums.
JuS 2014, 491 – Umfassende Erläuterung einzelner Irrtumskonstellationen inkl. Beispielen.
BGH NJW 2008, 2442 Rn. 15.
Stadler, Astrid: Allgemeiner Teil des BGB, 20. Auflage, § 25, Rn. 95.
Medicus/Petersen: Allgemeiner Teil des BGB, 11. Auflage, 2016.
MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 108, 113 f.
Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 10; § 142 Rn. 3, 14 ff.
RGZ 105, 406 ff.
BGH NJW 1998, 3192.
JuS 2016, 673 – Zum Problem des Abstraktionsprinzips bei Fehleridentität.
29.05.2023